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Gute Malerei muss wie ein Alien sein

Über das Türkis in den Bildern von Gesche Heumann

Im Luxushotel Schloss Elmau in Garmisch-Partenkirchen, das durch den G7-Gipfel 2015 Bekanntheit erlangte, gibt es eine Bademantel-Hierarchie. Gäste, die in günstigeren Zimmern unterkommen, erhalten Bademäntel im schlichten Beige und Grau.

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Besser zahlende Gäste saunieren in Purpur und Türkis in der in Gold gehaltenen Wellness-Anlage, von der sie sich leuchtend abheben. Während also die superreichen Saunagänger im Spabereich wie Heiligenfiguren durch ein mittelalterliches Altarbild schreiten, verschmelzen die nicht ganz so reichen Hotelgäste farblich mit den Liegen im Ruhebereich und bleiben im Profanen haften.

Die Farben Purpur und Türkis sind nicht nur seit jeher teuer, sondern signalisieren auch Überweltlichkeit. Sie sind, anders als Grau oder Beige, die in Haut und Haaren vorkommen, keine körperlichen Farben. Besonders Türkis wird deshalb häufig für Science-Fiction-Figuren verwendet, man denke nur an die Spezies der Na’vi aus dem Film „Avatar“ von James Cameron. Wie die Na’vi als seltene und schützenswerte Wesen dargestellt werden, verbindet man mit Türkis auch jenseits der Filmwelt Rarität. Es ist eine Farbe, die in unserer natürlichen Umgebung selten auftaucht. Immerhin muss sie aus einem Mineral gewonnen oder künstlich hergestellt werden. Da sie nicht organisch ist und nicht menschlich, wird sie auch gemeinhin als kälteste aller Farben wahrgenommen.

In den Gemälden von Gesche Heumann taucht Türkis immer wieder auf, oft dominiert es sogar das jeweilige Bild: ein Fernrohr, eine junge Frau am Computer, ein Mann, der im Schneidersitz neben einem geöffneten Kühlschrank sitzt und raucht, ein nackter Maler in Aktion, ein Junge mit Fischglas, abstrakte Bildflächen. All diese Motive könnten – wären sie nicht einzelne und voneinander unabhängig entstandene Malereien –Sequenzen eines surrealen Kurzfilms sein, und ihre Surrealität wird durch die Farbgebung, Türkis, betont. Die Bilder haben entweder große türkisfarbene Flächen, mindestens aber ein Schimmern in der zwischen Blau und Grün gelegenen Farbe. Es glitzert auf der Haut einer Person oder dringt düster aus dem Bilduntergrund hervor. Manchmal tragen die Figuren von Heumanns Bildern auch einfach türkisfarbene Pullover, sitzen vor einer türkisfarbenen Zimmerwand, oder schauen in einen türkisfarbenen Himmel.

Besonders befremdlich wirkt es, wenn Gesche Heumann diese anorganisch kühle Farbe für das Inkarnat verwendet oder wenn sie eine Neufassung von Rembrandts jugendlichem Selbstbildnis in verschieden abgestuften Türkistönen malt. Auf diese Weise erhalten die Malereien dank der Farbgebung etwas Außer- oder Überweltliches – auf ähnliche Weise wie Aliens in Science-Fiction-Filmen oder die Na’vi aus „Avatar“. Somit macht Heumann die Malerei selbst zum Gegenstand, deren Stärke und Selbstbewusstsein sich gerade daraus speist, dass sie sich schon allein mit einer Farbgebung über die Realität hinwegsetzen kann.

Umgekehrt zeigt das auch: Gute Malerei, die sich selbst thematisiert, muss wie ein Alien sein. Sie sollte daran erinnern, dass es etwas gibt, was man noch nicht kennt, weil es nicht aus der tagtäglich wahrgenommenen Welt stammt. Motive, Figuren, Situationen oder einfach nur Farben können etwas Unwirkliches zeigen und dabei viel mehr mit einem zu tun haben als alles ‚Wirkliche‘. Sie können von einem Glauben zeugen – sei es an Aliens oder die Malerei –, der mit einer Geste der Abgeklärtheit meist von sich gewiesen wird, aber in Form von geheimen Wünschen oder Ängsten eigentlich immer noch da ist. An türkisfarbener Haut überrascht nicht, dass sie in Wirklichkeit nicht existiert. Sondern weil sie an etwas erinnert, was viel wirklicher ist als das, was dargestellt werden kann: an eine Emotion, eine Hoffnung oder einen Wunsch. An etwas, das nicht gedacht oder gesprochen werden kann, weil dafür die Worte und Laute fehlen.

Mit der Farbe Türkis erzeugt Gesche Heumann etwas Echtes in der Verfremdung – und das ist wertvoller als der Bademantel im Luxushotel, der ausschließlich auf das verweist, was für ihn ausgegeben werden musste. (Annekathrin Kohout)

Annekathrin Kohout
ist Kulturwissenschaftlerin und -journalistin. Als freie Autorin schreibt sie über Popkultur, Internetphänomene und Kunst. Daneben veröffentlicht sie auf ihrem eigenen Blog sofrischsogut.com. Sie ist Mitherausgeberin und Redakteurin der Zeitschrift „Pop. Kultur und Kritik“ und Mitglied der Forschungsstelle „Populäre Kulturen“ an der Universität Siegen, wo sie zudem lehrt und forscht.